Hağğ – Die Reise des Lebens (teil 2 von 2): Die Riten von Abraham
Beschreibung: Ein Fünftel der Menschheit teilt eine einzige Sehnsucht: wenigstens einmal im Leben die spirituelle Reise Hağğ vervollständigen zu können. Teil 2: Der Zug von Arafah bis zu den letzten Riten, und eine Hağğ, die der Allmächtige akzeptiert.
- von Nimah Ismail Nawwab (edited by M. Abdulsalam)
- Veröffentlicht am 02 Jun 2008
- Zuletzt verändert am 02 Jun 2008
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Gerade nach Sonnenuntergang ziehen die Massen der Pilger nach Muzdalifah, eine offene Ebene auf halbem Wege zwischen Arafah und Mina. Dort angekommen, beten sie zuerst, dann sammeln sie eine bestimmte Anzahl kichererbsengroßer Steinchen, die sie in den kommenden Tagen brauchen werden.
Noch vor Tagesanbruch des dritten Tages bewegt sich die Masse der Pilger von Muzdalifah nach Mina zurück. Dort werfen sie mit den Steinchen, die sie zuvor gesammelt haben auf die weißen Säulen, eine Tradition des Propheten Abrahams. Wenn die Pilger sieben Steinchen auf jede dieser Säulen werfen, erinnern sie sich der Geschichte, als Satan versuchte, Abraham zu überreden, Gottes Befehl seinen Sohn zu opfern, zu missachten.
Das Werfen der Steine ist ein Symbol für den Versuch des Menschen, Schlechtes und Böses abzuwerfen, nicht nur einmal sondern siebenmal – die Zahl sieben symbolisiert die Unendlichkeit.
Nach dem Werfen opfern die meisten Pilger eine Ziege, ein Schaf oder ein anderes Tier. Sie geben das Fleisch den Armen, nachdem sie eine kleine Portion für sich selbst behalten haben.
Dieser Ritus steht in Verbindung mit Abrahams Bereitschaft, im Einklang mit Gottes Wunsch seinen Sohn zu opfern. Es symbolisiert die Bereitwilligkeit des Muslim, das, was ihm teuer ist, zu teilen und es erinnert uns an den Geist des Islam, in dem die Unterwerfung unter den Willen Gottes eine führende Rolle spielt. Diese Tat erinnert den Pilger auch daran, weltliche Güter mit denen, die nicht so glücklich sind, zu teilen und es ist auch eine Dankbarkeit Gott gegenüber.
Da die Pilger nun den Großteil der Hağğ beendet haben, ist es ihnen jetzt erlaubt, ihren Ihram abzulegen und ihre normale Kleidung anzuziehen. An diesem Tag teilen Muslime auf der ganzen Welt die Freude der Pilger und wie sie opfern sie an diesem Tag und feiern ´Id al-Adha, das “Opferfest”. Männer scheren ihre Haare und Frauen schneiden ein kleines Stück davon ab, um ihre teilweise Entweihung zu symbolisieren. Dies alles sind Symbole der Demut. Alle Verbote, außer das der ehelichen Beziehungen, sind nun aufgehoben.
Die Tage verbringen die Pilger noch immer in Mina, aber sie besuchen Mekka, um einen anderen essentiellen Ritus der Hağğ zu vollziehen; den Tawaf, das siebenmalige Umkreisen der Kaaba, bei dem Bittgebete zu sprechen sind. Ihre Umkreisung der Kaaba, das Symbol für die Einheit Gottes, deutet darauf hin, dass Gott im Mittelpunkt einer jeden Aktivität des Menschen stehen muss. Es symbolisiert ebenfalls die Verbindung von Gott und Mensch.
Thomas Abercrombie, zum Islam konvertiert und Schriftsteller und Photograph für das National Geographic Magazine, pilgerte in den 1970ern und beschrieb die Verbundenheit und Harmonie, welche die Pilger bei dem Umkreisen der Kaaba verspüren:
“Siebenmal umkreisten wir den Schrein und wiederholten die rituellen Gebete auf arabisch: ´Herr Gott, von einem solchen fernen Land bin ich gekommen zu Dir... Gewähre mir Schatten unter Deinem Thron.´ Gefangen in der wirbelnden Szene, erhöht durch die Poesie der Gebete, umkreisten wir Gottes Haus im Einklang mit den Atomen, in Harmonie mit den Planeten.”
Während sie ihre Umkreisung vollziehen, können die Pilger den Schwarzen Stein küssen oder berühren. Dieser ovale Stein, im späten siebten Jahrhundert erst in den Silberrahmen eingelassen, besitzt in den Herzen der Muslime einen besonderen Platz, denn, gemäß mancher Hadith, ist es der einzige Überrest der Originalstruktur, die Abraham und Ismael erbaut haben. Aber vielleich ist der einzige, wichtige Grund, den Stein zu küssen, dass es der Prophet genauso tat.
Der Stein wird aber auf keinerlei Art und Weise angebetet, denn er ist kein Objekt der Anbetung und ist es auch nie gewesen. Der zweite Khalif, Umar ibn al-Khattab machte dies ganz deutlich, als er den Stein selbst in Anlehnung an den Propheten küsste, gab er bekannt:
“Ich weiß, dass du nur ein Stein bist, unfähig zu nutzen oder zu schaden. Hätte ich nicht den Gesandten Gottes dich nicht küssen gesehen, würde ich dich nicht küssen.”
Nachdem sie den Tawaf beendet haben, beten die Pilger möglichst am Platz von Abraham, das ist die Stelle, an der Abraham gestanden hat, als er die Kaabah gebaut hat. Dann trinken sie Wasser von Zamzam.
Ein anderer und manchmal abschließender Ritus ist sa´i oder “Anstrengung”. Dies ist eine Wiederbelebung einer erinnerungswürdigen Episode aus dem Leben Hagars, die mit ihrem Sohn Ismeal in das “unkultivierbare Tal” von Mekka, wie der Quran es nennt, gebracht worden war, um dort zu leben.
Der Sa´i erinnert uns an Hagars verzweifelten Suche nach Wasser, um Ismaels Durst zu stillen. Sie rannte siebenmal zwischen den Hügeln as-Safa und al-Marwah hin und her, bis sie die heilige Wasserquelle fand, die Zamzam genannt wird. Dieses Wasser, das auf wundersame Weise unterhalb von Ismaels kleinen Füßen entsprang, ist dieselbe Quelle aus der noch heute die Pilger trinken.
Wenn diese Riten erfüllt sind, ist der Weihezustand der Pilger vollständig aufgehoben: sie können alle normalen Aktivitäten wieder aufnehmen. Jetzt kehren sie nach Mina zurück, wo sie bis zum 12. oder 13. Dhul-Hiğğah bleiben. Dort werfen sie ihre übrigen Steinchen auf jede der Säulen, auf die Art und Weise wie es der Prophet getan hat. Dann verlassen sie ihre Freunde, die sie während der Hağğ gefunden haben. Bevor sie Mekka ganz verlassen, machen die Pilger noche einen letzten Tawaf um die Kaaba, um sich von der heiligen Stadt zu verabschieden.
Normalerweise verbinden die Pilger Hağğ, die größere Pilgerfahrt, mit der Umrah, der kleineren Pilgerfahrt, der durch den Qur´an ihre Grenzen bestimmt sind und die der Prophet ebenfalls durchführte. Anders als die Hağğ, findet die Umrah nur in Mekka selbst statt und kann jederzeit im ganzen Jahr verrichtet werden. Der Ihram, Talbiyah und die Einschränkungen die durch den Weihezustand bedingt sind, gelten bei der Umrah gleichermaßen, die auch drei Rituale der Hağğ teilt: den Tawaf, Sa´i und das Scheren bzw. Schneiden der Haare. Der rituelle Brauch der Umrah, den Pilger wie Besucher einhalten, steht für die besondere Verehrung der einzigartigen Heiligkeit Mekkas.
Bevor oder nachdem sie in Mekka waren, nutzen die Pilger bei Hağğ oder Umrah gegebenenfalls auch die Gelegenheit, die Moschee des Propheten in Medinah zu besuchen, die zweitheiligste Stadt im Islam. Hier liegt der Prophet in einem einfachen Grab begraben. Der Besuch in Medinah ist keine Pflicht, denn es stellt keinen Teil der Hağğ oder Umrah dar, aber die Stadt – die Muhammad willkommen hieß, als er aus Mekka auswanderte – ist reich an bewegenden Erinnerungen und historischen Plätzen, welche die Erinnerung an ihn als Propheten und Staatsführer wachrufen.
In dieser Stadt, die die Muslime seit Jahrhunderten lieben, kann man noch immer die Auswirkungen des Leben des Propheten spüren. Muhammad Asad, ein österreichischer Jude, der 1926 zum Islam konvertiert ist, und fünf Pilgerreisen zwischen 1927 und 1932 unternahm, beschreibtt die Anziehungskraft dieser Stadt:
“Selbst nach dreizehn Jahrhunderten ist die spirituelle Gegenwart [des Propheten] hier lebendig wie damals. Nur durch ihn wurde aus der verstreuten Gruppe von Dörfern, die einst Yathrib genannt wurde, eine Stadt, und sie wurde den Muslimen bis zum heutigen Tage so lieb, wie keine andere Stadt irgendwo sonst auf der Welt je geliebt wurde. Sie hat noch nicht einmal einen eigenen Namen: seit über dreizehn hundert Jahren wird sie Madinat an-Nabi, “die Stadt des Propheten” genannt. Über dreizehnhundert Jahre ist hier so viel Liebe zusammengeflossen, dass alle Formen und Bewegungen eine gewisse Familienähnlichkeit aufweisen und jegliche abweichenden Erscheinungen finden einen tonalen Übergang in eine allgegenwärtige Harmonie.”
Wenn die Pilger unterschiedlicher Rassen und Sprachen nach Hause zurückkehren, tragen sie die hingebungsvollen Erinnerungen an Abraham, Ismael, Hagar und Muhammad mit sich. Sie werden sich immer an das Zusammentreffen mit Menschen aus aller Welt erinnern, wo arme und reiche, schwarze und weiße, junge und alte sich auf einer gleichen Ebene getroffen haben.
Sie kehren mit einem Gefühl der Ehrfurcht und Gelassenheit zurück: Ehrfurcht aufgrund ihrer Erfahrungen bei Arafat, als sie sich Gott am nächsten gefühlt haben, wo sie auf der Seite standen, an welcher der Prophet auf seiner ersten und einzigen Pilgerreise seine Abschiedspredigt gehalten hatte; und Gelassenheit, weil sie auf dieser Ebene ihre Sünden abgeworfen haben und nun von deren schwerer Last befreit sind. Sie kehren ebenfalls mit einem größeren Verständnis für die Bedürfnisse ihrer Brüder im Islam zurück. Dies ist entstanden aus dem Geist für andere zu sorgen und dem Verständnis für ihr eigenes reiches Erbe, das ihre Leben lang andauern wird.
Die Pilger kommen strahlend mit Hoffnung und Freude zurück, denn sie haben Gottes uraltes Gebot an die Menschheit erfüllt. Vor allem kommen sie mit einem Gebet auf den Lippen zurück: “Bitte, Gott”, beten sie, “akzeptiere unsere Hağğ von uns”, und möge das, was der Prophet sagte, für ihre eigene Reise auch zutreffen:
“Es gibt keine Belohnung für die fromme Pilgerreise als das Paradies.” (Al-Tirmidhi)
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